Kai Martin
Kai Martin ist Fotograf aus Leidenschaft. Er ist Autodidakt und begann 2010 sich intensiv mit der digitalen Fotografie und den kreativen Möglichkeiten der Bildbearbeitung auseinanderzusetzen. Kai liebt es zu experimentieren und immer wieder neue gestalterische Varianten auszuprobieren. Mit seinen Arbeiten will er besondere und exklusive Unikate schaffen. Daher erschafft er nur wenige Werke pro Jahr.
Kai Martin hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit seiner Partnerin im Rhein-Main Gebiet.
Konstruierte Realitäten
Fotos sind meist Momentaufnahmen: Zu einem Zeitpunkt, von einem Blickpunkt, zu einer Tageszeit. Mit „Konstruierte Realitäten“ kombiniert Kai Martin mehrere Aufnahmen, um ein Objekt oder Szene umfassender darzustellen und ihrem eigentlichen Wesen und Bestimmung näher zu kommen. Bilder von innen und außen eines Gebäudes, um dessen Zweck sichtbar zu machen. Aufnahmen zu verschiedenen Tageszeiten, um den Wandel der Szene im Laufe des Tages einzufangen. Fotos in kurzer zeitlicher Abfolge, um Bewegungen sichtbar zu machen. Kombinationen und Modifikation von Bildern, um eine Geschichte zu erzählen und zum Nachdenken anzuregen. Und vieles mehr.
Iris Hasler (Kunsthistorikerin) zu der Serie „Konstruierte Realitäten“
Opulente Konsumtempel, aufsehenerregende Architekturen und überwältigende Landschaften: Für die neunzehnteilige Serie „Konstruierte Realitäten“ (2012-2021) fotografierte Kai Martin mondäne Orte in Deutschland, aber auch in Italien, Österreich, der Schweiz und in den USA. Jede der Digitalfotografien besteht aus mehreren Aufnahmen, die am Computer zu einem Bild montiert und auf Alu-Dibond aufgezogen werden. Indem Martin Innen- und Außenaufnahmen kombiniert, Fotografien zu unterschiedlichen Tageszeiten zusammenfügt oder ein bestimmtes Motiv mehrmals wiederholt, entstehen verdichtete (Ab-)Bilder unserer Welt zwischen Realität und Fiktion.
Einkaufsparadies (2012) zeigt ein hessisches Shoppingcenter mit Parkhaus, das man bei all der dokumentarischen Treue doch nie derart zu Gesicht bekommen wird. In Frontalansicht aufgenommen ist der Bau nicht in seiner Gänze wiedergegeben, sondern an den Seiten abgeschnitten, wodurch Unendlichkeit suggeriert wird. Mit röntgengleichem Blick werden auf zwei Etagen des Parkhauses dahinterliegende Geschäfte sichtbar gemacht, die eine schillernde Ladenzeile bilden.
Auch die in mehreren Reihen nebeneinandergesetzten Schaufensteransichten in Shops (2013) vermitteln einen ungebremsten Konsum, der immer wieder Gegenstand von Martins Fotografien ist. Die Milanesische Galleria Vittorio Emanuele (2019) zählt zu den prunkvollsten Einkaufspassagen des 19. Jahrhunderts und bis heute. In den zwei strukturell gleichartigen Panoramen ermöglicht die Zusammenfügung mehrerer Einzelbilder nahezu einen Rundumblick von Nord nach Süd bzw. Ost nach West. Kaleidoskopartig überlagern sich pompöse Architekturen, Deckengemälde und Luxusboutiquen.
Wie sehr ein Perspektivwechsel unseren Orientierungssinn irritieren kann, führt die Fotografie Abstrakt I … mit einem Hauch von der anderen Seite der Welt (2019) vor. Eher abstrakt denn einer klaren Verortung zuordenbar, geraten Horizontalität und Vertikalität ins Wanken – trotz oder vielleicht gerade wegen des blauen Wolkenhimmels.
Bergauf und Bergab kurven die Autos auf der Tremola über den Gotthardpass. Erst beim genauen Hinsehen fällt auf, dass es sich nicht um unterschiedliche Autos handelt (Bergauf / Bergab, 2019).
Auch in Floating Piers (2016), das anlässlich Christos temporärer Installation im Lago d’Iseo entstanden ist, verdoppelten und verdreifachten sich die Besucher und Besucherinnen. Es scheint, als würden sie – sprichwörtlich – durch das Bild laufen. In einer Momentaufnahme wie einer Fotografie wird Dynamik durch das Wiederholen einzelner Sujets hergestellt, oder durch einen zeitlichen Ablauf.
In Magisches Dreieck (2017) unterteilen drei Aufnahmen zu verschiedenen Tageszeiten die See- und Berglandschaft bei Lugano nicht nur in unterschiedliche Zeitzonen, sondern ergeben einen dynamischen Verlauf wie man ihn vor allem vom Bewegtbild kennt.
Surreal muten auch die kombinierten Tag- und Nachtaufnahmen des Central Parks und umliegenden Häusermeeres an; New York, die Stadt, die niemals schläft (Central Park, 2016).
Was ist real, was ist konstruiert? Obwohl der Fotografie lange zugeschrieben wurde, bloß ein authentisches Abbild der Wirklichkeit zu sein, arbeitet sie stets mit Mitteln der Konstruktion. Durch die Wahl des Blickwinkels, die – bewusste oder unbewusste – Wahl des Ausschnittes, letztlich die Präsentationsform zeigt sie nicht unbedingt die Welt, wie sie ist. Die Fotografien von Kai Martin gehen in der Konstruktion einen Schritt weiter, sie sind konzentrierte Bilder von Stadt, Land und Fluss sowie Konsum, Kultur und Industrie – wie sie sein könnten, was sie vermitteln, wie sie wahrgenommen werden.